- Mai 12, 2017
- Booklet
Finale ESC 2017
Tanzender Affe gegen geschniegelten Schweden – oder doch Portugal?
“Es muss schlecht sein. Und je schlechter es ist, umso mehr Spaß macht es!” Das hat einst der BBC-Moderator Terry Wogan über den Eurovision Song Contest gesagt. Und Recht hat er: Wer kann sich denn heute noch an den ersten Hochglanz-Auftritt Albaniens erinnern? Oder all die ganzen Fließband-Pop-Songs aus Schweden, wenn sie ausnahmsweise mal nicht Erster wurden? Eben. Da bleiben eher die trommelnde Oma aus Moldau oder die singenden Monster aus Finnland. Spaß beiseite: Es ist wieder Grand-Prix-Zeit, dieses Wochenende steigt in Kiew das große Finale.
Doch, die schlechte Nachricht zuerst:
Trommelnde Omas und singende Monster gibt es keine, dafür weiße und schwarze Kleider, soweit das Auge reicht.
Die beiden Halbfinals, die am Dienstag und Donnerstag abgehalten wurden, wimmelten nur so davon. Doch musikalisch geht man auf Nummer sicher: Wer weiße (oder schwarze) Kleider trug, sang eine internationale Nummer auf Englisch. So gleich, so austauschbar. Da ist es kein Wunder, dass beispielsweise Rumänien als einzige Spaß-Nummer im Wettbewerb hoch im Kurs steht. Eine junge Dame in einem roten Kleid (welch Wagnis!) jodelt, ein Mann im schwarzen Anzug rappt. Das macht so viel Spaß, dass man fast vergisst, dass das musikalisch eher dünn ist.
Einige Titel, die musikalisch stark waren, sind bereits draußen. Tschechien und insbesondere Finnland hatten viele im Finale vermutet. Dafür sind nun ein muskelbepackter Israeli und ein persönlichkeitsgespaltener Kroate dabei. Letzterer singt Pop und Oper zugleich.
Musikalisch wird es aber richtig spannend.
Der Top-Favorit kommt in diesem Jahr aus Italien, heißt Francesco Gabbani und tanzt mit einem Menschen in einem Affen-Kostüm auf der Bühne.
Doch seit Halbfinale eins hat er Konkurrenz bekommen: ein junger Portugiese macht sich seitdem auf, erstmals sein Land unter die ersten Fünf zu führen. Er heißt Salvador Sobral und schaffte es unter der Woche als einziger, den Saal für drei Minuten gänzlich still zu bekommen. Zu leisen Orchester-Tönen präsentiert er fast flüsternd seinen Song und wirkt dabei schon fast autistisch. Doch das ist so berührend, dass er bei Proben und Show zum Star avancierte.
Italien und Portugal, zwei der wenigen Länder, die in der eigenen Sprache singen, starten relativ nah beieinander – und fast direkt hintereinander: An Nummer neun und Nummer elf. Nur die um ihr Leben singende Dänin Anja trennt sie noch. Die Startnummer gilt bei Experten und Buchmachern als wichtiges Element. Motto: Je später du startest, desto größer deine Chancen. Demnach dürften die Geheimfavoriten aus Bulgarien und Schweden nun absolute Siegeschancen haben. Bulgarien ist im Starterfeld Vorletzter, Schweden Drittletzter. Der Balkan-Staat sendet den jüngsten Teilnehmer, Schweden den coolsten: Ein kleiner 17-Jähriger mit starker Ballade gegen einen geschniegelten Schweden auf einem Laufband.
Und was macht eigentlich Deutschland? Deutschland könnte als erstes Land dreimal hintereinander Letzter werden. Glaubt man den Leuten vor Ort, wird das nicht so sein: Sängerin Levina ist durch zahlreiche Länder getourt, um für sich zu werben. Ihr silbernes Outfit passt zum dezenten Titel, der von vielen gutes Feedback bekommt. Negativ ist die Startnummer 21 – denn sie kommt direkt nach den eingangs genannten Jodel-Rumänen.
Trotzdem: Dass Deutschland wieder ganz hinten landet, ist unwahrscheinlich.
Was der Surfer-Song aus Spanien und der belanglose Balladen-Titel vom weißen Kleid aus Polen soll, darf da schon eher hinterfragt werden.
So bleibt noch zu sagen: Österreich und die Niederlande haben tolle Nummern, genauso wie Moldau, das den „Epic-Sax-Guy“ mit dem Saxophon reaktiviert hat. Der wurde nach 2010 zum YouTube-Helden und wurde schon in den Halbfinals gefeiert.
Eine Prognose zu treffen, scheint bei all diesen Faktoren schwer. Der Trend zum weißen Boden-Kleid zeigt: Sicherheit wird in diesem Jahr hochgeschätzt. Und diese Sicherheit wird sich wohl auch im Voting wieder spiegeln. So bleibt Italien Top-Favorit, trotz fehlenden Kleides. Das wäre die sichere Variante. Doch es würde mehr als nur passen, wenn am Ende die ESC-Gemeinde etwas wagt. Und den jungen Salvador aus Portugal seinen Song ein zweites Mal singen lässt.